Bernhard Schlink: Das späte Leben

Martin, sechsundsiebzig, wird von einer ärztlichen Diagnose erschreckt: Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Sein Leben und seine Liebe gehören seiner jungen Frau und seinem sechsjährigen Sohn. Was kann er noch für sie tun? Was kann er ihnen geben, was ihnen hinterlassen? Martin möchte alles richtig machen. Doch auch für das späte Leben gilt: Es steckt voller Überraschungen und Herausforderungen, denen er sich stellen muss.

Bernhard Schlink: Das späte Leben. Diogenes 2023.

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darja serenko: mädchen und institutionen

Feinsinnig und Couragiert verbindet Darja Serenko Poesie und politischen Aktivismus. Bekannt sind ihre Plakate mit feministischen, widerständischen oder alltagspoetischen Statements, mit denen sie und Gleichgesinnte 2016 im urbanen Russland unterwegs waren und dabei die Reaktionen aus der Öffentlichkeit dokumentierten. Darja Serenko ist auch an der horizontal organisierten Feminist Anti-War Resistance beteiligt, die sich deutlich gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine positioniert und bei all der Härte des Regimes versucht, widerständig zu bleiben.

Nun ist beim Suhrkamp Verlag ein zweiteiliges Buch von Darja Serenko erschienen. Im titelgebenden Teil erzählt sie lakonische Geschichten von jungen Frauen, die ihr Dasein in den staatlichen Kultureinrichtungen fristen. Es ist eine absurde patriarchale Welt, in der zwar sporadische Solidarität aufblinkt, sonst aber Misogynie, Bürokratie und Machtspielchen vorherrschen. Im Hintergrund surrt das anschwellende autokratische Rauschen.

Den zweiten Teil des Buches begann Darja Serenko zu schreiben, als sie wegen eines Protests für 15 Tage in Haft war. Zwischen die Schilderungen des Gefängnisalltags schieben sich Prosagedichte, Satiren und Essays. Es sind Texte aus der Zeit nach der Eskalation zum grossangelegten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine: eine wütende und schmerzhafte poetische Auseinandersetzung mit der Gewalt, die der Krieg vor allem für Frauen und queere Menschen bedeutet, dabei wirft Darja Serenko Fragen nach Verantwortung und Schuld auf und reflektiert über Exil, Aktivismus und Widerstand.  

Wie der erste Teil «Mädchen und Institutionen» richtet sich auch der zweite Teil «Ich wünsche Asche meinem Haus» eigentlich an Leser*innen in Russland, kann dort aber nicht erscheinen. In der Übersetzung von Christiane Körner liegt er nun dem deutschsprachigen Publikum vor und vermittelt diesem eine Ahnung des Dilemmas zwischen Mitmachen und Widerstand, in dem sich die Bevölkerung Russlands aktuell befindet.

darja serenko: mädchen und institutionen. geschichten aus dem totalitarismus, suhrkamp 2023

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Stefanie Sargnagel: Iowa

2022 tauscht Stefanie Sargnagel widerstrebend das bequeme Wiener Sofa gegen ein Flugticket in die USA ein. In Iowa soll sie an einem College mitten im Nirgendwo Creative Writing unterrichten. In der Kleinstadt Grinnell mit ihren 8000 Einwohnern gibt es ausser endlosen Maisfeldern: nichts. Mit von der Partie ist Musiklegende Christiane Rösinger, und gemeinsam machen die beiden sich auf, das Nichts zu erkunden. Sie finden übergewichtige freundliche Einheimische, traditionelle Geschlechterrollen, Riesensupermärkte, unglaubliche Würstchen und ein Glas voller eingelegter Truthahnmägen.

Mit korrigierenden Fussnoten von Christiane Rösinger.

Stefanie Sargnagel: Iowa. Ein Ausflug nach Amerika, Rowohlt Hundert Augen 2023.

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Alice Oseman: Heartstopper

Wer die queere Liebesgeschichte «Heartstoppers» bereits ins Herz geschlossen hat, soll doch rasch «Band fünf» auf den Wunschzettel für Weihnachten schreiben. Denn der fünfte Band ist soeben auf Deutsch erschienen und lässt uns weiter in die Welt von Nick und Charlie und all ihren Freund*innen eintauchen.

Es ist Sommer, Nick und Charlie sind noch immer verliebt. Bald wird die Schule passé und der erste Schritt in eine neue Zukunft gemacht sein. Doch wird es eine gemeinsame? Wie soll das gehen, wenn sich Nick für die Universität entscheidet, die weit entfernt ist? Ein weiteres Kapitel der weltweit bekanntesten queeren Liebesgeschichte in Bildern! Das Schönste daran: Band fünf ist noch nicht das Ende.

Alice Oseman: Heartstopper, Band 5, Graphix Loewe 2023.

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Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt

Ein Buch von Katherine Rundell!

Unsere Welt ist einzigartig und verblüffend. Es gibt Haie, die schon zu Shakespeares Zeiten gelebt haben, Giraffen, die durch Paris flanierten, verliebte Spinnen und Einsiedlerkrebse, die ihre Häuser renovieren. Mit einem bemerkenswerten Gespür für fesselnde Geschichten und kuriose Anekdoten eröffnet uns die preisgekrönte Autorin Katherine Rundell in diesen 22 eindrücklich recherchierten Porträts bedrohter Tierarten einen neuen Blick auf die hinreißend seltsame Schönheit unserer Erde.

Aus dem Englischen von Tobias Rothenbücher. Mit Illustrationen von Talya Baldwin.

Katherine Rundell: Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt, Diogenes 2023.

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Hannes Bajohr: (Berlin, Miami)

Die Welt in Hannes Bajohrs (Berlin, Miami) ist alles, was einer mit vier Gegenwartsromanen gespeisten KI zugefallen ist: ein namenloser Programmierer, der Listen daraufhin prüft, wer tot ist und wer nicht. Agenten der sogenannten Ãää-Firma, die Ãäängste schüren wollen. Die Gründung des niedrigen Kongresses auf Sylt. Kieferling und Teichenkopf. Lebensviren und Co-Yoga. Pechwörterworte, Sechs-Lame-Sprache und DER UNTERSCHIED. Was daraus generiert wird, ist der irrwitzige Fiebertraum eines Sprachmodells, das Liebesgeschichten und Verschwörungsnarration simuliert, um sich – der Logik von Realität und Grammatik zum Trotz – umgehend selbst ins Wort zu fallen, an die Wand zu fahren und auch noch der letzten kausalen Klammer zu entledigen. Doch anstatt schlussendlich daraus aufzuwachen, wird die KI von Bajohr immer weiter angespornt, bis selbst der altbekannte Traum der Roboter von elektrischen Schafen platzen muss und so der Literatur gänzlich neue Rahmen steckt.

Hannes Bajohr: (Berlin, Miami). Rohstoff @ Matthes & Seitz 2023.

Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste

Nichts möchten wir lieber ausblenden als die Unbeständigkeit der Welt. Dennoch werden wir immer wieder damit konfrontiert. Wie gehen wir um mit dem Bewusstsein, dass etwas unwiederbringlich verloren ist? In seinem neuen Essay nimmt Daniel Schreiber eine zentrale menschliche Erfahrung in den Blick, die unsere Gegenwart massgeblich prägt und uns wie kaum eine andere an unsere Grenzen bringt: den Verlust von Gewissheiten und lange unumstösslich wirkenden Sicherheiten. Ausgehend von der persönlichen Erfahrung des Tods seines Vaters erzählt Daniel Schreiber von einem Tag im nebelumhüllten Venedig und analysiert dabei unsere private und gesellschaftliche Fähigkeit zu trauern – und sucht nach Wegen, mit einem Gefühl umzugehen, das uns oft überfordert.

Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste. Hanser Berlin 2023.

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Dipo Faloyin: Afrika ist kein Land

Zwischen Marrakesch und Maputo liegt ein ganzer Kontinent der bewegten Vielfalt. Da ist zum Beispiel Lagos, grösste Metropole des Kontinents und Magnet für alle Menschen voller Selbstvertrauen und konturlosen Plänen. Gut getanzt wird in Lagos ebenfalls. Da ist der neue Afrobeat, die Musik der Millennials, die in den westafrikanischen Ländern pulsiert und wieder vermehrt dem eigenen Alltag, der direkten Umgebung und der eigenen Sprache entspringt. Da sind die Demokratien Botswana oder Mauritius mit ihren seit Jahrzehnten gut funktionierenden Mehrparteiensystemen. Da ist das nicht wirklich demokratische Land Ruanda, das allerdings mit über 60 Prozent den weltweit grössten Frauenanteil in einem gewählten Parlament aufweist. Da war einmal das Königreich Benin, vor seiner gewaltvollen Zerstörung durch britische Truppen eines der kulturell reichsten und technologisch fortschrittlichsten vorkolonialen Imperien. Da sind unzählige wertvolle Artefakte, wobei sich momentan – und das soll sich eine*r mal vorstellen – 90 Prozent des kulturellen Erbes Afrikas ausserhalb des Kontinents befinden. Nicht unerwähnt bleiben darf das süss-würzige und orangefarbene Reisgericht Jollof, um dessen beste und einzig richtige Zubereitung viele Länder Westafrikas miteinander rivalisieren. Genauso wie der Africa Cup of Nations mehr als nur ein Fussballwettbewerb ist, so ist Jollof weitaus mehr als nur ein Reisgericht.   

Dies sind nur einige der unzähligen Steinchen des Mosaiks an Erfahrungen, Geschichten und Gemeinschaften, das Afrika – einen Kontinent mit 54 Ländern und über 2000 Sprachen – darstellt. In seinem Buch «Afrika ist kein Land» beleuchtet Dipo Faloyin unterschiedliche Orte in ihrer Gegenwart und Vergangenheit.

Es ist ein Buch, das wertvolles Wissen vermittelt und das Portrait eines modernen Afrika zeigt. Es ist ein Buch, das sich Unwissen und Stereotypen widersetzt. Dass afrikanische Staaten in der Regel scheitern und ihre Bevölkerungen dabei müde und passiv zuschauen, ist eine verkürzte beziehungsweise schlicht nicht zutreffende Vorstellung. Demokratien laufen derzeit leider weltweit Gefahr, ins Autokratische hineinzuschlittern – das ist keineswegs eine genuin afrikanische Erfahrung.

Doch echte Herausforderungen gibt es auf dem Kontinent durchaus, und sie werden von Dipo Faloyin nicht ignoriert. Er zieht überzeugende Linien in die Kolonialzeit und benennt (nicht als erster) die gravierende Mitschuld der europäischen Länder. Seine überzeugende Darstellung setzt bei jener grossen und falschen Karte ein, auf deren Grundlage die europäischen Grossmächte an der Berliner Konferenz 1884/1885 den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten, ohne auch nur im Geringsten an mögliche Folgen zu denken. Die Karte bestand aus «knapp fünf Metern topografischen Unsinns, skizziert von Männern, die nie einen Fuss auf 90 Prozent des Landes, das sie abzubilden behaupteten, gesetzt hatten.» Bis heute ist es die Standardstrategie des Westens, das Schicksal Afrikas nicht den Afrikaner*innen zu überlassen – und dabei immer auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein.

Doch Dipo Faloyin macht deutlich, dass die afrikanischen Länder für sich selbst sorgen müssen und dies auch können. Uns Leser*innen macht er in erfrischend klaren Worten auf gewisse verzerrte Vorstellungen in unseren Köpfen aufmerksam. Dazu passend schreibt die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie im vorangestellten Motto: «Wenn alles, was ich über Afrika wüsste, von den weit verbreiteten Bildern herrührte, würde auch ich denken, dass Afrika ein Ort mit schönen Landschaften, schönen Tieren und unbelehrbaren Menschen ist, die sinnlose Kriege führen, an Armut und AIDS sterben, nicht imstande, für sich selbst zu sprechen.» Das Buch «Afrika ist kein Land» ist mit guten Gründen eine nachdrückliche Leseempfehlung.

Dipo Faloyin: Afrika ist kein Land, Suhrkamp 2023.

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Viersprachiger Abend: Jachen Andry

Ausgesprochen bewegt war die Lesung mit dem Lyriker Jachen Andry und der Verlegerin Mevina Puorger am 26. Oktober 2023. Sie gestaltete sich viersprachig, klangvoll, rhythmisch, sinnig und kurzweilig – und wird lange in Erinnerung bleiben.

Jachen Andry las aus seinen rätoromanischen Gedichten und berücksichtigte dabei auch die Übersetzungen ins Französische, Italienische und Deutsche. Durch Erläuterungen und Erzählungen dazwischen brachte er seine Lyrik auf eine wunderbare Art nahe. Ebenfalls viersprachig las Mevina Puorger. Sie begleitete den Autoren im Gespräch und verwöhnte das Publikum.

Das Labyrinth bedankt sich von Herzen für den anregenden und einzigartigen Abend und empfiehlt den viersprachigen Gedichtband allen Lyrikbewegten sowie auch jenen, die es noch werden möchten. Das Buch ist wunderschön gestaltet, in leichtgraues Leinen gebunden und mit einem zartrosa Faden versehen:

jachen andry: fil – filo – fil – faden, editionmevinapuorger, 2023.
Übersetzung von Jachen Andry, Marisa Keller-Ottaviano und Aline Delacrétaz.

© Foto: Kees Idenburg

Deborah Levy: August Blau

Elsa M. Anderson ist eine berühmte Konzertpianistin. Doch als sie in Wien Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert spielen soll, vermasselt sie es. Sie verlässt die Bühne, und ihre Identität als Wunderkind wird auf einen Schlag unstet. Drei Wochen später beobachtet sie auf einem Flohmarkt in Athen eine Frau, die zwei mechanische Tanzpferde kauft. Elsa fühlt sich auf sonderbare Weise mit der Unbekannten verbunden und hält sie für ihre Doppelgängerin. Sie beginnt die Frau zu suchen, mit ihr in Gedanken zu kommunizieren. Doch die Frau möchte sich nicht widerstandslos  zum Alter Ego machen und läuft Elsa in den Strassen von Paris davon. Und so versucht Elsa mithilfe und trotz ihres Doubles, ihrer Mütter, ihres Adoptivvater-Klavierlehrers, ihrer Liebsten und Schüler*innen ein neues Ich zu komponieren, ihre eigene Geschichte zu spinnen.

Deborah Levy: August Blau, aki 2023.

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