Freiheit und Langeweile

Thomas Stangl
Literaturverlag Droschl, 2016

Der österreichische Schriftsteller Thomas Stangl stellt in seinem Essayband ‚Freiheit und Langeweile’ die Frage, was Literatur heute noch vermag. Seine Antwort: Literatur ist ein dichtes Gedankengewebe, abgerungen einem ernsten Spiel mit Widersprüchen – stets schwankend zwischen Scheitern und Aufbruch, zwischen Ästhetik und Widerstand.

Da ist erstmal eine Reihe mit der schlichten Bezeichnung Essays; beim hier vorliegenden Band handelt es sich um die Nummer 67. Herausgegeben wird die Reihe vom österreichischen Literaturverlag Droschl mit Sitz in Graz und spezialisiert auf avantgardistische Gegenwartsliteratur. Inhalt sind sechs Texte von Thomas Stangl, manche bereits in Zeitungen wie der FAZ oder der Standard veröffentlicht, oder in Zeitschriften erschienen. Zudem das bisher unveröffentlichte Manuskript eines Vortrags, den Stangl 2014 zum Verhältnis zwischen Religion und Literatur an der Universität Frankfurt gehalten hat.

Erzählen trotz Literaturbetrieb
Im titelgebenden Essay Freiheit und Langeweile setzt sich der Romanautor Stangl mit den Mechanismen des Literaturbetriebs auseinander. Er beschreibt dabei zwei Welten mit unvereinbaren Gesetzen. Auf der einen Seite „Maschinerien, die Material verlangen und durch ihre Raster schieben und verschlingen, bis es nach einen halben Jahr fast spurlos verschwunden ist; auf der anderen Seite irgendwelche Irre, die, mit mehr oder weniger Naivität, aber letztlich immer nach Kriterien, die diesen Rastern völlig unzugänglich sind, etwas Eigenes, fast Lebendiges in dem sehen, was sie doch nur für diese Maschinerie produzieren.“
Das klingt nach Kulturpessimismus und zunächst wenig ermunternd. Doch Stangl hält dagegen. Er betont, dass Literatur durch das Erzählen von Geschichten Möglichkeitsräume eröffnen kann. Dabei versteht er die grenzüberschreitende Kraft der Literatur keinesfalls als Selbstzweck; es geht ihm nicht darum, den Bruch, die Differenz an sich zu preisen. Vielmehr hält er – mit dem Gespür für das Nicht-Darstellbare – an der Suche nach dem Wahren fest. Literatur ist für ihn Ausdruck dieser Suche. Sie ist das Kreisen um einen ungewissen Kern. Im Unwissen darüber ob da überhaupt etwas ist, ohne aber auszuschliessen, dass da etwas sein könnte. Im Essay Eine Leere, ein Surren – über den Raum der Literatur schreibt er etwa: „Die Kluft zwischen Sätzen und Bildern, Gegenwart und Vergangenheit bleibt offen, eine Leere, ein Nichts“, um unmittelbar zu ergänzen: „Die Wahrheit ist eine fragile, notwendige Konstruktion über Abgründen; ohne die Leere, das Nichts wäre sie weniger wahr.“

Revolutionär Einfaches
Was es bedeuten könnte, heute noch Literatur zu betreiben, verdeutlicht Stangl im Essay Revolution und Sehnsucht, in welchem er sich mit dem „vielleicht letzten revolutionären Schriftsteller der deutschen Literatur“ auseinandersetzt; mit Peter Weiss. Im angesprochenen Essay zeichnet er Weiss` Versuch nach, die antagonistischen Konzepte Ästhetik und Widerstand zu vereinen und kommt zum Schluss, dass es keine Revolution ohne Scheitern gibt. „Alles“, so fährt er fort, was „den Wert der Revolutionen ausmacht, ist der Anteil des Scheiterns, in der Gleichzeitigkeit mit der unerfüllten und vielleicht nie ganz erfüllbaren Sehnsucht nach dem (wie Peter Weiss es formuliert) `Einfachen, Freundlichen, Gerechten, über das man nicht verschiedener Meinung zu sein braucht.`“ Hier kommt die, wohlgemerkt absolut unbegründete Hoffnung zum Ausdruck, dass beim dialektischen Zusammenspiel zwischen Aufbrechen und Scheitern, am Ende etwas Beständiges, etwas Wirkliches herausfällt.
Stangl meint also, dass es für das Erkennen des Einfachen, Freundlichen, Gerechten, über das man nicht verschiedener Meinung zu sein braucht, stets den Bruch oder vielmehr das Aufbrechen ins Ungewisse, ins Unbekannte braucht. Und zwar deshalb, weil wir zum Einen in Zeiten leben, in denen das Falsche so sehr zur alles umgreifenden Realität geworden ist, dass wir kaum mehr das Richtige erkennen können und zum Andern, weil das scheinbar Richtige immer gleich Gefahr läuft zum Falschen zu werden. Hier kann nun Literatur etwas entgegenhalten. Sie kann Widerstand leisten, ohne selber dogmatisch zu werden, sich in Zwischenräume wagen, ohne diese heilig zu sprechen.

Sogartige Gedankengänge
Stangls Ausführungen sind stets ausgreifend und vielseitig. Im Essay Treffende Worte, Unendlichkeit wird – unter anderem anderen – die Frage nach der Erkennbarkeit literarischer Qualität gestellt. So kann etwa die Qualität eines literarischen Textes daran gemessen werden, ob lediglich behauptet und beschrieben wird, oder aber etwas entsteht. An anderer Stelle spricht er daran anknüpfend von „verästelnder Genauigkeit“, die entgegen der wissenschaftlichen, pragmatischen Genauigkeit, das Einzelne im Widerstand gegen das Allgemeine der Definitionen und Kategorien erst zum Einzelnen macht.

Stangls Gedankengänge haben dabei stets etwas Faszinierendes und die Ab- und Umwege der Essays scheinen geradezu geleitet von einem beinahe mystischen Drang. Stets lauernd auf den Moment der Erkenntnis greifen die Sätze nach etwas nicht Benennbarem, ja möglicherweise nicht einmal Existierendem. Diese Bewegung ist es, die die Gedankengänge zusammenhält, ihnen den Anschein des Festgefügten gibt und bei der Lektüre eine sogartige Wirkung erzeugt.