Übersetzt aus dem Französischen von Yves Raeber.
verlag die brotsuppe 2018
Man nennt ihn einen Sonderling, den Gärtner auf dem Friedhof. Vielleicht ist er aber ein ganz besonderer Mensch.
In späten Berufsjahren wurde er von den öffentlichen Stadtgärten auf einen Friedhof versetzt. Er hatte sich nie gewünscht, dort arbeiten zu müssen, schon gar nicht bei den Kindergräbern.
Er widmet sich jedoch zunehmend den Gräbern der Kinder. Denen der jüngst verstorbenen, aber auch den verlassenen Gräbern ohne Namen, Grabkreuz, Blumenschmuck. Er gibt den Kindern Namen von Blumen, Primel, Forsythia, Hyazinth, Pfingstrose, Anemone, Lavendel, Iris, Aster, Begonie, Chrysantheme. Er hat seine eigenen, oft beängstigenden Vorstellungen, wie die Kinder gestorben sein könnten.
Er züchtet Pflanzen, um die Gräber der Kinder damit zu schmücken. Aber er pflegt nicht nur die Blumen, sondern auch die Reliquien, die auf den noch besuchten Gräbern liegen. Wenn etwas kaputt ist, nimmt er sie mit in seine kleine Wohnung in einem grossen Haus und repariert sie, mit Leim und Wattestäbchen, und bringt sie auf die Gräber der Kinder zurück.
Auch kauft er Geschenke für die Kinder, für ihn sind sie nicht tot, sie sind da und er lebt mit ihnen. Die toten Kinder sind lebendig und bald schon seine Welt geworden. Aber er quält sich auch immer wieder mit schrecklichen Bildern, wie die Kinder zu Tode gekommen sein könnten, hat wiederkehrende schlimme Albträume.
Er geht in ein Spielwarengeschäft und kauft ein Dinky Toy-Auto, lässt es als Geschenk verpacken und legt es auf Forsythias verlassenes Grab. Er packt das Spielauto aus und erfreut sich am Jubel der Kinder. Dinky Toy-Autos waren das Lieblings-Spielzeug seines kleinen verstorbenen Bruders.
Die Kinder bereiten ihm viel Freude, sie sind lebendig, quirlig, wach und haben Spass miteinander. Schon längst sind sie für ihn Realität er begibt sich immer mehr in ihre Welt. Sie sind seine Familie, sein Lebensmittelpunkt.
Aber er erlebt immer wieder schreckliche Momente, draussen, ausserhalb seiner eigenen Welt. Auch der Tod seines kleinen Bruders quält ihn.
Die Verschmutzung des Grundwassers durch die Verwesung der Verstorbenen ist zu einem aktuellen Thema geworden, Bagger fahren auf, der Park wird umgegraben, ausgemergelt, zerstört. Er nimmt seine Kinder mit in sein neues Zuhause, einem Häuschen mit Garten.
„Und ruht ein Kind auch sanft, es bleibt Dir anvertraut“. Mit diesen Worten beschliesst der Autor das Buch.
Der Gärtner, der Sonderling, der ganz besondere Mensch, hat den Kindern das gegeben, wozu ihre Eltern irgendwann nicht mehr in der Lage waren. Sie wurden ihm anvertraut, er hat die Verantwortung für sie übernommen, sie beschützt, behütet, mit ihnen gespielt und glücklich gemacht.
„Ruhe sanft“ ist ein Buch über einen ganz besonderen Menschen, der den Tod überwunden hat. Voller Emotionen, bewegender, bedingungsloser Liebe, aufwühlend und auch tröstlich zugleich.
Esther Stich, Hofstetten, Oktober 2020