Weihnachtsgeschenk? – Widerspruch!

Der «Widerspruch» ist eine wichtige und konstante Stimme in der Diskussion für eine soziale und gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Seit über 40 Jahren beleuchtet der «Widerspruch» zweimal pro Jahr fundiert politische Zusammenhänge aus linker und emanzipatorischer Perspektive. In den verschiedenen Beiträgen wird eine Brücke geschlagen von theoretischer Gesellschaftskritik zu konkreten Kämpfen. Möglich gemacht wird die Zeitschrift durch ein unentgeltlich arbeitendes Redaktionskollektiv und auch durch Abonnent*innen.

Unabhängig – dank Förderabos!

Wer jetzt ein Förderabonnement des «Widerspruchs» für Fr. 150.- / € 100.- löst, erhält nicht nur die zwei neusten Hefte zugestellt, sondern auch ein Buch nach Wahl! Der Rotpunktverlag, der mandelbaum Verlag und die edition 8 stellen eine Auswahl Bücher zur Verfügung, aus der Sie eines auswählen dürfen.
Hier können die Bücher angesehen und das Abo abgeschlossen werden.

Die Buchhandlung Labyrinth wünscht dem «Widerspurch» weiterhin gutes Gelingen sowie zahlreiche neue Abonent*innen. Wir freuen uns auch im neuen Jahr auf eine inspirierende Zusammenarbeit.

Zeitschrift «Wespennest»

Militärstrategen verdichten ihre Expertise häufig zu dem Satz, das erste Opfer jedes Krieges sei «bekanntermassen» die Wahrheit. Wer zur Quelle dieses Zitats gehen will, findet viele Väter, eine Mutter, mehrere Sprachen, unterschiedliche Datierungen. Orte, an denen die Wahrheit stirbt, sind Kampfzonen von Kompromat und Propaganda, wo Krieg nicht einmal Krieg heissen darf. Was stattdessen lebt, trägt Euphemismen wie «neue Realität» oder «alternative facts» und dient – der Geschichtsfälschung.

Doch wäre Orientierung an einer gemeinsamen, wahren Wirklichkeit überhaupt noch möglich in einer Welt von Fake News und Deep Fake, die als solche gar nicht mehr erkannt werden? Und trägt denn Fälschung als Technik nicht vieles zur Demokratisierung der (Marken-)Warenwelt bei? Kein Kunstmarkt ohne Beltracchis, liesse sich argumentieren. Höchste Zeit also – auch – für eine Verteidigung des Plagiats.

Im 18. Jahrhundert leistete sich Georg Christoph Lichtenberg den aufklärerischen Scherz, seine Leser und Leserinnen über einen Auktionskatalog zu informieren, dessen Unique Selling Proposition in der Bereitschaft bestand, das zu Gebot stehende Falschgeld aus Rücksicht auf die straffällige Klientel auch im Dunkeln zu verkaufen. Die Herbstausgabe der Zeitschrift wespennest hingegen will bei Licht betrachtet sein. Obschon auch darin vielleicht nicht alles ganz echt ist.

Die 183. Ausgabe des wespennests ist im Labyrinth erhältlich. Die Zeitschrift publiziert seit 1969 vierteljährlich, seit 2010 halbjährlich Texte internationaler Autorinnen und Autoren sowie literarische Neuentdeckungen.

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25 Jahre Philosophicum Lech – Konrad Paul Liessmann: Der Geist im Gebirge

«Was könnten wir tun, um Lech den Ruf von etwas Edlem zu verschaffen?» – «Tage der Philosophie! Philosophie und Berge, die haben sich schon immer gut vertragen.»

Die Antwort von Michael Köhlmeier war einfach, dennoch bedurfte sie zwei Jahre der ‘Reifung’, bis Konrad Paul Liessmann gefunden und dieser das ebenso einfache wie einleuchtende Konzept vorstellt: «Jedes Jahr ein Thema, und das wird in verschiedenen Vorträgen von verschiedenen Philosophinnen und Philosophen ausgeleuchtet. Das Konzept hat sich bis heute nicht verändert.»

Jedes Jahr ein Thema, «so zufällig wie signifikant» – das Philosophicum Lech spannt damit den Bogen über die Abgründe des Menschlichen.

Die Themen fordern zum Nachdenken auf – immer ist die Aktualität im Blick, zeitnah, selbstverständlich. Und immer verweigert das Nachdenken das Selbstverständliche, in dem Sinne, dass die Philosophin / der Philosoph gerade das, was selbstverständlich erscheint, «absolut nicht verstehen kann». Alle Bemühungen der Philosophierenden geht im Grunde dahin, unbedingt verstehen zu wollen. Das Zeitgemässe ist dabei der Stein, den die Verstehen-Wollenden den Berg hinauf zwingen, zu einer Hellsichtigkeit. Ernüchternd dabei ist, dass der scheinbare Moment einer Befreiung nicht die Freiheit von der Zeit bringt. Die Freiheit konstituiert sich vielmehr dabei, die Zeit in Gedanken zu erfassen. Der vielfach zitierte Satz von Hegel zeigt par excellence die Aufgabe der Philosophie. Das Philosophicum Lech hat ihn sozusagen verinnerlicht. – Das Buch über ein Vierteljahrhundert Vorarlberger Philosophie in der Herausgeberschaft von Konrad Paul Liessmann handelt nochmals die 25 Themen ab, in neuer Autorschaft, in neuer Zeitnähe.

Konrad Paul Liessmann: Der Geist im Gebirge. – Zsolnay Verlag, Wien 2022.

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Tractatus Preis 2022: Marie Luise Knott

Der Tractatus Preis ist einer der wichtigsten Preise im Bereich der philosophischen Essayistik, der alljährlich vergeben wird. Die diesjährige Preisträgerin, Marie Luise Knott, ist eine profunde Kennerin von Hannah Arendt. In ihrem Preisträger-Buch versucht sie, Hannah Arendts politischer Position zum Rassismus auf den Grund zu kommen. Ausgangspunkt bildet dabei der Zufallsfund eines Durchschlag-Blattes einer Antwort von Hannah Arendt an Ralph Ellison im Zusammenhang ihres umstrittenen «Little-Rock-Aufsatzes». In ihrer Antwort kritisiert und widerruft sie ihre eigene Stellungnahme in der Auseinandersetzung um die schwarze Emanzipation.

Zugleich bestimmt die kritische Selbstauseinandersetzung wesentlich die Form des Essays. «Essays sind Exkursionen. In ihnen werden vorhandene Denkwege verlassen», ergänzt die Preisträgerin. Diese Haltung trifft auch auf ihren Essay zu. Haltung, Form und Inhalt sind die drei ‘Substanzen’, die den philosophischen Essay prägen.

Die Autorin ist sich bewusst, dass durch neue Kenntnisse und Untersuchungen «die tektonischen Platten unserer (westlichen) Gewissheiten» verschoben werden, Klassiker in Kritik geraten. So Hannah Arendt in Bezug auf Rassismus. Gleichzeitig blockiert ihr Eingeständnis ihre Verurteilung. Und die Nicht-Verurteilung wiederum öffnet für die Preisträgerin das Feld, die damaligen Schriften und Positionen von Hannah Arendt neu zu befragen – und zu verstehen. Und in diesem Anspruch folgt sie der Lebensaufgabe der Philosophin selbst: Verstehen zu wollen.

Marie Luise Knott: 370 Riverside Drive – 730 Riverside Drive. Hannah Arendt und Ralph Ellison. – Matthes & Seitz, Berlin 2022.

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Thomas Stangl, Anne Weber: Über gute und böse Literatur

Eine Rezension von Julia Rüegger

„Warum ist gute – grosse – Literatur […] oft näher an der schlechten, misslungenen als an der soliden, perfekten, routinierten?“ S. 5

Welche Risiken geht man ein, wenn man über Figuren schreibt, die tatsächlich existiert haben?

Gibt es Geschichten, die nichts verfälschen?

Was hat „rücksichtslose Personenbearbeitung“ mit „Lebendigschreiben“ zu tun? S. 154

Beginnt das Fälschen schon beim Konstruieren eines Textes?

„Kann es Literatur geben, die naiv gelesen schlecht ist und raffiniert gelesen gut?“ S. 31

„Ist es nicht schrecklich, einen Schriftsteller zum Kind, Bruder oder Ex-Mann zu haben und von ihm in einen Roman gesteckt zu werden? “ S. 76

„Ist es […] überhaupt wünschenswert, erzählt zu werden, möchte ich der Gegenstand einer Biografie sein?“ S. 78

Gibt es eine Moral des Verschweigens?

„Was muss die Fiktion können, damit sie nicht enttäuscht, weniger ist als die Wirklichkeit, sondern mehr?“ S. 150

Und kann nicht auch die moralische Haltung eines Autors, einer Autorin zur Eitelkeit verkommen?

Diese und viele weitere tiefschürfende Fragen werfen Thomas Stangl und Anne Weber, zwei deutschsprachige Autor:innen, in ihrer Emailkorrespondenz auf. Beide wurden in den 1960er-Jahren geboren und setzen sich durch die Stoff- und Perspektivenwahl ihrer Werke regelmässig ethischen wie auch ästhetischen Herausforderungen aus. Zwischen 2014 und 2020 haben sie sich in zwei separaten Mailwechseln mit den Grenzgängen ihres Schreibens auseinandergesetzt und das weite, aber auch diffuse Feld zwischen Aufrichtigkeit und Schamlosigkeit ausgelotet.

Während der erste, kürzere Mailwechsel sich um die eher klassische Frage nach Kriterien für gute Literatur und deren moralischen Unterbau dreht, liegt der Schwerpunkt im zweiten Mailwechsel auf dem Umgang mit literarischen Figuren. Genauer: auf dem Umgang mit Figuren, wenn diese auf reale Personen zurückgehen, die entweder – wie bei den Expeditionsreisenden in Stangls Roman „Der einzige Ort“ – seit langer Zeit tot sind, oder – wie bei der von Anne Weber in „Annette, ein Heldinnenepos“ porträtierten Résistance-Kämpferin Anne Beaumanoir – noch leben. Dass aus dieser Betrachtung der eigenen Arbeiten keine Nabelschau erwächst, hat auch damit zu tun, dass Stangl und Weber eine Reihe anderer Autor:innen in ihre Reflexion miteinbeziehen und ihre Lektüren von Pierre Michon und Marguerite Duras, Jonathan Littell und Peter Handke, Franz Kafka und Ursula Krechel kontrovers verhandeln. 

Wer aufgrund des Email-Genres einen süffigen Ton erwartet, wird vielleicht enttäuscht oder ratlos sein: Man sieht es dem Text nicht sofort an, dass er es vor allem als Fragenkatalog in sich hat. So gerät das Zwiegespräch zwischendurch etwas verkopft. Dennoch stecken die beiden Korrespondenzen voller starker und origineller Einsichten, gerade auch wenn das Gespräch aktuelle Themen wie Identitätspolitik oder Autofiktion berührt, sich diesen aber aus einem ungewohnten Winkel nähert. Am spannendsten und schönsten wird die Lektüre jedoch da, wo Stangl und Weber aus dem manchmal etwas zu rigide verfolgten selbstauferlegten Fragekatalog ausbrechen: da, wo sie einander widersprechen; wo sie zugeben, dass ihre eigenen Positionen immer wieder ins Wanken geraten; sie aber zugleich sehr präzise Worte finden, um all die Spannungen nachzuzeichnen, die den Schreibprozess zwischen künstlerischem Risiko und ethischem Anspruch ausmachen. Oder auch da, wo sie sich allen Zweifeln zum Trotz zu (vorläufigen) Bekenntnissen hinreissen lassen, die dann zum Beispiel so klingen:

„[…] dass die Form ihr Eigenleben hat, macht nicht nur gute Literatur aus, es macht auch jede Literatur angreifbar.“ S. 33

– Letzteres gilt wohl auch für diese im besten Sinne unruhig bleibende Korrespondenz.

Thomas Stangl, Anne Weber: Über gute und böse Literatur. Korrespondenz über das Schreiben. Matthes & Seitz 2022.

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Нeт Boйнe – Gegen den Krieg

Das Innere einer Buchhandlung ist laufend in Bewegung. Wieder in die Regale verflüchtigt hat sich so auch unsere Auswahl an Büchern anlässlich des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Die Bücher sind jedoch nach wie vor sichtbar und dringend zu lesen. Denn weiterhin sind die Menschen in der Ukraine von der Gewalt und Vertreibung des Krieges betroffen, ihnen steht ein dunkler Winter bevor. Wir empfehlen nach wie vor, Autor*innen aus der Ukraine zu berücksichtigen und Antikriegsstimmen von überall zu lesen und zu hören. Es sind oft die engagierten Schriftsteller*innen, die mit ihrer Literatur erzählen, wovon sonst kaum berichtet wird und die auch dann noch schreiben, wenn die mediale Aufmerksamkeit nachgelassen hat. Neben den Büchern, die wir empfehlen, weisen wir auf weitere wertvolle Lesetipps hin:

Neuerscheinung – Tanja Maljartschuk: «Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus»
Diese Essays sind ein Geschenk: Sie öffnen ein Fenster zum Verständnis des Unvorstellbaren, das gerade in der Ukraine geschieht. Ergreifend und analytisch messerscharf stellt Tanja Maljartschuk dar, was die kriegerische Expansionspolitik Russlands mit einem Land und seinen Menschen anrichtet.

Zeitschrift – Lettre International: «Krieg in Europa»
Die Sommerausgabe der «Lettre International» trägt den Titel «Krieg in Europa» und enthält intensive Reportagen, inspirierte Essays und tiefschürfende Analysen zu dem von Putin entfachten Krieg. Übrigens ist nun bereits die Herbstausgabe der LI «Schein und Wahn» bei uns eingetroffen.

Social Media – Feminist Anti-War Resistance (auf Deutsch)
In Russland selber werden die verbliebenen Stimmen gegen den Krieg mit allen Mitteln unterdrückt. Doch es gibt sie! Besondere Aufmerksamkeit verdient die horizontale Initiative mit Graswurzelcharakter und queer-feministischer und antikolonialer Ausrichtung: «Феминистское Антивоенное Сопротивление» / «Feminist Anti-War Resistance». Seit dem 24. Februar werden über einen Telegram-Kanal unermüdlich Berichte über Aktionen verbreitet, Stimmen aus der Ukraine sichtbar gemacht, Tipps gegen Repression geteilt und Aktivist*innen miteinander vernetzt. Aus verschiedenen Ecken Russlands wird hier gegen den Krieg und gegen das Regime angeschrieben und gekämpft. Nun liegt der Chat ausschnittweise in deutscher Übersetzung vor.

Plakat – #НeтBoйнe #GegenDenKrieg
Von vielen wurde es schon gesichtet: Im Labyrinth hängt ein Soliplakat gegen den Krieg. Erreicht hat es uns durch einen Basler Spendenaufruf in Solidarität mit den anarchistischen, antiautoritären und (queer-)feministischen Aktivist*innen in der Ukraine, in Belarus und in Russland. Das Plakat kann gekauft werden, wobei der Erlös vollumfänglich dem erwähnten Spendenaufruf zugute kommt.

Noëlle Revaz erhält den Gottfried Keller-Preis.

Die in Biel wohnhafte Autorin bewegt sich mit ihrem Werk an den Schnittstellen von Belletristik, Theater und Hörspiel. Mit ihren drei Romanen «Von wegen den Tieren» (2002), «Efina» (2009) und «Das unendliche Buch» (2014) erkundet sie mit grösster Sorgfalt verschiedene Stilmittel und Genres und behält dabei ihren kritischen Blick auf die Gesellschaft sowie ihren Humor bei.

„Die Schmalheit von Noëlle Revaz‘ Werk – sechs Bücher, davon drei Romane, in rund fünfzehn Jahren – hängt mit dem Anspruch zusammen, den sie an ihre Bücher stellt und der aus ihr eine der grossen zeitgenössischen Autorinnen französischer Sprache macht.“ (Aus der Jury-Begründung)

Nach Gertrud von le Fort (1952), Erika Burkart (1992) und Agota Kristof (2001) ist Noëlle Revaz die vierte weiblich gelesene Autorin, die den Gottfried Keller-Preis – eine der angesehensten und ältesten Literaturauszeichnungen der Schweiz – erhält.

Wir gratulieren der Noëlle Revaz zu diesem Preis und sind gespannt, wie sich ihr Werk weiterhin entfalten wird. Die bis zum jetzigen Zeitpunkt publizierten Bücher sind aktuell im Labyrinth ausgestellt – auf Französisch sowie in deutscher Übersetzung.

Landschaftsarchitektur Lernen – Geschichte, Gegenwart und Perspektiven

Sein 50-jähriges Bestehen feiert das Institut für Landschaftsarchitektur in Rapperswil (OST) mit einem historisch informativen Katalog, den die «Edition Hochparterre» wunderbar adäquat zu allen aufgeführten Themen gestaltet hat.
Die OST ist das einzige Institut in der Deutschschweiz, das «eine berufsbefähigende Landschaftsarchitektur- Ausbildung» anbietet. Praxisorientierte Lehre und Forschung führen zu engagierten Debatten über Krisen und drängender werden Zukunftsfragen. Von der Landschaftsplanung und -entwicklung im Sinne der Denkmalpflege über ökologische Forschungen bis zu architektonischen Visionen ist das Institut auch ein Ideenlabor. Zugleich betreibt es ein Archiv, das europaweit einzigartig ist.
Der Konnex zu Lucius Burckhardts «Spaziergangswissenschaften» liegt auf der Hand und verziert unsere Präsentation des empfehlenswerten Katalogs.
«Es handelt sich bei den Spaziergangwissenschaften um etwas ganz anderes als das traditionelle Flanieren. Sie sind eine Karikatur ihrer Vorbilder. Sie haben zwar deren Distanz zur Wirklichkeit geerbt, sie haben aber ihren nostalgischen Tenor verloren. Wir machen sie aus einer ironischen Haltung heraus. Denn heute kann man vieles nur so betrachten.»

Lucius Burckhardt geht also mit einem Objekt in die Landschaft, in die Stadt und konfrontiert damit sowohl diese Umgebung als auch deren Bewohner:innen oder eben Spazierende. Schlagartig verändern sich sowohl die Umgebung als auch der Blick auf sie oder aus ihr. – Bauprojekte, die in dieser Umgebung stattfinden sollen, werden mit etwas Ungewöhnlichem und Inadäquatem konfrontiert. Um diesen Aufruf geht es der Spaziergangswissenschaft.

Landschaftsarchitektur lernen – Geschichte, Gegenwart und Perspektiven.                                                   
50 Jahre Lehre und Forschung in Rapperswil.
Edition Hochparterre 2022
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Alex Capus: Susanna

In New York wird die Brooklyn Bridge eröffnet, Edisons Glühbirnen erleuchten die Stadt. Mittendrin Susanna, eine Malerin aus Basel, die mit ihrer Mutter nach Amerika ausgewandert ist. Während Maschinen die Welt erobern, kämpfen im Westen die Ureinwohner ums Überleben. Falsche Propheten versprechen das Paradies, die Kavallerie steht mit Gewehren bereit. Mit ihrem Sohn reist Susanna ins Dakota-Territorium. Sie will zu Sitting Bull, um ihn zu warnen. Das ergreifende Abenteuer einer eigenwilligen und wagemutigen Frau.

Alex Capus: Susanna. Hanser 2022.

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Amia Srinivasan „Das Recht auf Sex“

Eine Rezension von Julia Rüegger

Eine derzeit vielbeachtete Neuerscheinung ist „Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. Jahrhundert“ der 1984 geborenen Philosophin Amia Srinivasan. Seit 2020 hat Srinivasan als bisher jüngste Person, erste Frau und erste nicht-weisse Person den renommierten Chichele-Lehrstuhl für Politik- und Gesellschaftstheorie an der Oxford University inne. Die Essaysammlung „Das Recht auf Sex“ ist ihr Debüt – und dafür, dass Srinivasan erst relativ spät zur feministischen Theorie gefunden hat, eine Textsammlung, die es knochentief in sich hat.

Obwohl Titel und besonders Untertitel des Buches grosse Erwartungen wecken, geht es inhaltlich (zum Glück) nicht um den Zehn-Punkte-Plan für einen zukünftigen Feminismus, sondern um eine hellwache und sehr kluge Bestandsaufnahme aktueller feministischer Debatten, deren Prägung durch verschiedene Schulen und historische Umstände sowie um deren kritische Revision heute. Dabei widmet sich Srinivasan mit Vorliebe Themen, die Feminist*innen seit jeher spalten und gesellschaftlich polarisieren: zum Beispiel der Pornografie und der Frage nach der Kriminalisierung oder Legalisierung von Prostitution. Dabei zeigt sie auf, wieso gerade diese alten Streitthemen noch immer von Gewicht sind: nicht obwohl, sondern weil es auf sie keine leichten Antworten gibt. Aber auch neuerer Phänome wie der rassistischen, frauen- und transfeindlichen Incel-Bewegung und der fortgeschriebenen Rassifizierung in Dating-Apps nimmt sich Srinivasan in ihrer ganzen Abgründigkeit an und wird nicht müde, auf die Paradoxien hinzuweisen, die sich bei genauerem Hinschauen immer schmerzlicher zeigen.  

So fragt Srinivasan im Essay „Die Politik des Begehrens“ danach, wie politisch geformt unser Begehren ist, und ob es wirklich emanzipiert ist, individuelles Begehren aus einer liberalen Haltung heraus als rein persönliche Angelegenheit zu verstehen, oder ob es nicht doch darum gehen könnte und sollte, das eigene Begehren einer politischen Kritik zu unterziehen um nicht blind die herrschenden Begehrensnormen zu reproduzieren.

Einem ähnlich komplexen Thema widmet sich der Text „Warum man nicht mit seinen Studierenden schlafen sollte“, in dem Srinivasan Einblick gibt in die teils bizarren, teils haarsträubenden Debatten darüber, ob akademische Lehre erotisch sein darf (oder sogar soll) und ob sexuelle Handlungen zwischen Lehrenden und Studierenden verboten gehören oder nicht. Eine Frage, die besonders im US-amerikanischen Sprachraum, wo in den letzten Jahrzehnten zunehmend gesetzliche Regelungen etabliert wurden, von grosser Brisanz ist. Auch hier weicht Srinivasan der Komplexität des Phänomens nicht aus, seziert vielmehr die verschiedenen Machtinteressen, ideologischen Vereinnahmungen und problematischen Freiheitsverständnisse, die sich in ihm niederschlagen – und zeigt auf, warum auch ein einvernehmliches Verhältnis systematisch Schäden anrichten kann, besonders zu Lasten von (nicht-weissen) Frauen*.

Im Essay „Sex, Karzeralismus, Kapitalismus“ schliesslich zeigt Srinivasan auf, wie oft gesetzliche Massnahmen zum Verbot oder zur Einschränkung von Prostitution gerade jenen Sexarbeiter*innen am meisten schaden, die aufgrund ihrer Armut, ihrer Hautfarbe oder ihres Aufenthaltsstatus ohnehin massiver Diskriminierung und existenzieller Bedrohung ausgesetzt sind.

Es handelt sich bei diesen Essays also nicht um eine spritzige popfeministische Lektüre, die mal eben so nebenbei gelesen und verdaut werden kann. Und das liegt nicht darin begründet, dass Srinivasan umständlich oder verklausuliert schreiben würde, sondern eben darin, dass sich die Essays jene Zonen auf dem feministischen Kampfplatz vorknöpfen, die unangenehm, verworren, moralisch höchst aufgeladen und politisch (seit Jahrzehnten) umstritten sind. Zudem basieren die Essays, die von Srinivasans enormer Belesenheit in feministischer Theoriebildung zeugen, auf einer intensiven Recherche, die historische Argumentationslinien und Narrative ebenso aufgreift wie aktuelle Zahlen und Studien.

Nach der Lektüre brummt einer*m der Kopf, und auf die Frage, wie ein reflektierter, progressiver und intersektionaler Feminismus im 21. Jahrhundert aussehen könnte, hat man keine klare Antwort erhalten, sondern vielmehr Orientierungshilfen dafür, in welche Richtung es weiter zu arbeiten, zu denken, lehren, lieben und kämpfen gilt, um den Weg zu mehr Gleichberechtigung für alle Menschen zu bereiten (und welche Fallstricke dabei zu vermeiden sind). Dies ist, angesichts der Komplexität der behandelten Themen, schon ein grosser Verdienst – und zeugt insbesondere auch von Srinivasans Befund, dass „eine wirklich inkludierende Politik […] eine unbequeme Politik ohne Geborgenheit [ist].“

Amia Srinivasan: Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. Jahrhundert
Klett-Cotta Verlag 2022

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