Mathieu Riboulet
Secession Verlag, 2016
Mathieu Riboulet möchte verstehen, wie sich Geschichte in den Körpern von Menschen niederschlägt. Dazu schickt Riboulet seinen französischen Ich-Erzähler nach Deutschland. Dort soll er den über Generationen vererbten Groll gegen die Deutschen ergründen, indem er mit deutschen Körpern in Kontakt tritt, d.h. indem er mit deutschen Männern schläft. Wie tief der Erzähler bloss ererbte Gewalterfahrungen bereits verinnerlicht hat, zeigt sich beispielsweise darin, dass ihm ein deutscher Liebhaber kurzzeitig in Naziuniform erscheint.
Das Buch ist jedoch viel mehr als dieses zwar anschauliche, aber doch plump scheinende Beispiel vermuten lässt. Die homoerotischen Begegnungen wie die historischen Ereignisse werden von Riboulet äusserst feingliedrig und in einer von poetischer Wucht strotzenden Sprache geschildert. Zudem ist Riboulets Roman äusserst reich an Beispielen und einer Vielzahl von Bezügen zu Film, Literatur und Malerei – insbesondere die Bilder von Caravaggio sind für Riboulet zentrales Motiv.
In Caravaggios Bildern sieht Riboulet etwa die Ambivalenz zwischen Liebe und Gewalt, zwischen Begehren und Übergriff, aufscheinen. So leben Eros, der Gott der Liebe, und Thanatos, der Gott des Todes, in seinem Buch Seite an Seite. Mit grossen Scharfsinn und ebenso grosser Empfindungskraft erkundet Riboulet diesen schmalen Grat. Dass ihm dieser Drahtseilakt auf eindrucksvolle Weise gelingt, macht das Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis.