Eine persönliche Erfahrung mit Büchern von Jean-Luc Nancy

Warum beschäftige ich mich als bildender Künstler schon jahrelang mit der Philosophie von Jean-Luc Nancy? Vielleicht, weil sich in Kunst, Philosophie und Religion die Sinnfrage stellt.

Nancy äussert sich zur Sinnfrage immer wieder, zum Beispiel so: «dass der Sinn nirgends sonst sein kann als in der Existenz selbst und nicht anderswo. Geben nicht Kunst und Literatur genau davon ein Zeugnis» (in: ‘singulär plural sein’, 2004). Nancys Denken kreist um Kunst – europäische Kulturgeschichte – Körper – Seele – Religionen und Gesellschaft. Er führt tief in die Frage hinein was Körper, was Geist, was Wirklichkeit sein könnte, wie Form und Inhalt zueinanderstehen und gibt dem Paradox grosses Gewicht. Das sind Fragen, die mich zentral beschäftigen. Nancy dekonstruiert unsere festen Vorstellungen von Diesseits und Jenseits und redet stets von «Öffnung» und seinem Gegenpol, der «Verschliessung». «Denn wir wissen, dass Verschliessung dem Trieb zuwiderläuft, dem Drang, dem Elan. Das Offene sind wir selbst, die Sprache ist es, die Welt selbst ist es» (in: ‘Anbetung, Dekonstruktion des Christentums’ Bd. 2, 2012).

In ‘Dekonstruktion des Christentums’ (Bd.1, 2008) nimmt Nancy die Formulierung «Hoc est corpus meum» auf, die seit 2000 Jahren das Zentrum des Christentums bildet. Es sei eine «Präsenz par excellence, die nicht präsent ist, die nicht da ist. Jede profane Malerei und jede Form der bildenden Kunst verbreitet und problematisiert dieses «Hoc est corpus meum» (in: ‘Heimsuchung, von der christlichen Malerei’, 2016). Besonders im Buch ‘Corpus’ (2014) wird diese Aussage unablässig wiederholt und untersucht, bis sie schliesslich in den Satz übergeht: «man bittet mich über den Körper zu sprechen, also spreche ich über die Seele».

In einem Interview, das Nancy ungefähr ein Jahr vor seinem Tod gab, sagte er ganz konzentriert, in sich versunken «wir brauchen Geist – wir brauchen Geist». Das könnte zunächst fast trivial tönen, ist aber seine innerste Sorge als Sucher, als Rufer in der Wüste, der er ist. Nancy ist dem Seienden zugewandt, lebensbejahend, und seine Texte sind voll poetischer Kraft. Darin leuchtet auch seine Aussage auf über das Mit-ein-ander-sein, in der Welt, mit der Welt.

Für meine Arbeit und mein Leben ist sein Denken eine bedeutende Inspiration.

Ludwig Stocker, Bildhauer – Basel                                                                     1.1.2022

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