Fredric Jameson «Raymond Chandler – Ermittlungen der Totalität»

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Diese Ermittlungen des amerikanischen Professors für Komparative Literatur über Raymond Chandler’s Kosmos sind nicht nur eine umfassende Chandler Biografie, nicht nur eine detaillierte Untersuchung seiner Krimis und Schriften, nicht nur eine Analyse seiner Verfilmungen, nicht nur eine Typologie von Amerika und seiner Gesellschaft, nicht nur seine Theorie des Krimis, sondern auch eine elaborierte Darstellung über sprachliche Experimente, der Sprache der Moderne, «in der Wörter zu Objekten geworden sind» (12).

Los Angeles ist häufiger Schauplatz von Chandler’s Krimis und bietet bereits einen Mikrokosmos, an dem beispielhaft die räumlichen Koordinaten und die soziale Typologie erkundet werden können. Dabei geht der Autor den Gängen des Detektivs nach. Oft wird er weg vom Zentrum an die Ränder der Stadt geführt, er beginnt wahrzunehmen, was und wie ein flüchtiger Blick wahrnimmt. Das Vage, Ungefähre, Vernachlässigte, Beinah-Entgangene geraten dadurch in sein Sichtfeld. Und seine Ermittlung setzt wie mit einem zweiten Blick bei dem an, was unbeachtet vorübergeht, was als ephemer und geringfügig übersehen wird. Die Wahrnehmung der Ränder machen erfahrbar, was bisher unbekannt war und nun wie ein fremdes Territorium erscheint.

Zugleich haben die Ränder eine Umschalt- oder Passagefunktion aus dem Zentrum in etwas Anderes. Das Andere ist z.B. die Wüste, ein leeres, ödes, fremdes Gebiet. Und hier beginnt der eigentliche Chandler. Hier beginnt eine Spurensuche, die die Koordinaten sprengt und der Versuch, das Zentripetale und Zentrifugale miteinander zu koordinieren in extreme Spannung bringt. Der eigentliche Fall, die wichtigen Episoden werden dabei immer stereotypischer, verweisen auf analoge Situationen, beginnen einander ähnlich zu werden und dadurch an sich auf andere Weise belanglos. Die Spuren führen den Ermittler schliesslich dorthin, wo das zu ermittelnde Ereignis bereits versandet ist, verjährt. Der Fall ist nicht nur belanglos geworden, sondern verschwunden. Er kehrt um und geht in sein ‘office’ zurück, um den Fall abzuschliessen: Mit der paradoxen Schlussfolgerung, dass der Fall insofern als abgeschlossen gilt, als das Verbrechen sich als in sich geschlossen erweist.