Munin oder Chaos im Kopf

Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf.
S. Fischer 2018

Eine Auftragsarbeit über den dreissigjährigen Krieg, die in der Bekanntschaft mit dem Tagebuch von Peter Hagendorf mündet. Ein nachbarschaftlicher Kleinkrieg über eine „verhaltensauffällige“ Frau, die auf dem Balkon ihre Gesangsübungsstunden (Sopran) abhält. Eine Begegnung mit einer einbeinigen Krähe, die die Protagonistin in nächtlich-philosophische Gespräche über Gott und die Welt verwickelt. Das sind die drei Handlungsstränge, deren Geschichten zunehmend zu Parameter, Gleichnis und Konstante werden für die Antriebe zu Kriegen, aber auch für ein anderes Verstehen von Wesen und Vernunft des Menschen.

Die Arbeit über den dreissigjährigen Krieg betrachtet im Besonderen die Vorkriegszeit, das Tagebuch des ehemaligen Müllersohns Peter Hagendorf, der zum Söldner wurde, weil er die Mühle seines Vaters nicht erben konnte und das Schicksal von Herzog Christian, mit dem die Protagonistin durch das Schlachtenepos von Annette von Droste-Hülshoff bekannt wurde. Aufgrund dieser drei Quellen kann die Protagonistin am besten in die Motivationen von Kriegen Einsicht gewinnen; immer weniger erkennt sie diese in politischen und religiösen Machtstrukturen und immer mehr in existentiellen Grundzügen und solchen des Menschenwesens. In den Gesprächen mit der Krähe findet der Erkenntnisvorgang indes seinen eigentlichen Austragungsort. Natürlich sind es einerseits Aggression (Feindbilder), Ehrgeiz (Machtansprüche, Landnahme) und Fanatismus (religiöser, politischer, ideologischer), die zu Kriegen führen. Andererseits jedoch bewirken Begehren und Mangel an existentiellen Ansprüchen, Betrug an und Herrschaft über das einzelne Leben und schliesslich die Zugrundelegung der menschlichen Unvollkommenheit resp. die Schaffung eines Gottes mächtige und unbeherrschbare Antriebe für aggressive, ehrgeizige und fanatische Handlungen.

Die Krähe begleitet seit Menschengedenken die Geschichte des Menschen, vor allem ist sie als aufmerksame Beobachterin präsent in Kriegen und im Alltag. Munin, die Krähe, steht für dieses Menschheitsgedenken und spricht von dessen Geschichten. Sie setzt dem Gott der Menschen das Gesetz entgegen und der Vernunft die Co-Existenz von Wesen und Existenz. – Es obliegt indes (dem Willen) der Protagonistin, dieser Stimme Gehör zu schenken. – Nun hat Monika Maron aus diesen Gesprächen mit der Krähe einen Roman geschrieben.