Tractatus Preis 2022: Marie Luise Knott

Der Tractatus Preis ist einer der wichtigsten Preise im Bereich der philosophischen Essayistik, der alljährlich vergeben wird. Die diesjährige Preisträgerin, Marie Luise Knott, ist eine profunde Kennerin von Hannah Arendt. In ihrem Preisträger-Buch versucht sie, Hannah Arendts politischer Position zum Rassismus auf den Grund zu kommen. Ausgangspunkt bildet dabei der Zufallsfund eines Durchschlag-Blattes einer Antwort von Hannah Arendt an Ralph Ellison im Zusammenhang ihres umstrittenen «Little-Rock-Aufsatzes». In ihrer Antwort kritisiert und widerruft sie ihre eigene Stellungnahme in der Auseinandersetzung um die schwarze Emanzipation.

Zugleich bestimmt die kritische Selbstauseinandersetzung wesentlich die Form des Essays. «Essays sind Exkursionen. In ihnen werden vorhandene Denkwege verlassen», ergänzt die Preisträgerin. Diese Haltung trifft auch auf ihren Essay zu. Haltung, Form und Inhalt sind die drei ‘Substanzen’, die den philosophischen Essay prägen.

Die Autorin ist sich bewusst, dass durch neue Kenntnisse und Untersuchungen «die tektonischen Platten unserer (westlichen) Gewissheiten» verschoben werden, Klassiker in Kritik geraten. So Hannah Arendt in Bezug auf Rassismus. Gleichzeitig blockiert ihr Eingeständnis ihre Verurteilung. Und die Nicht-Verurteilung wiederum öffnet für die Preisträgerin das Feld, die damaligen Schriften und Positionen von Hannah Arendt neu zu befragen – und zu verstehen. Und in diesem Anspruch folgt sie der Lebensaufgabe der Philosophin selbst: Verstehen zu wollen.

Marie Luise Knott: 370 Riverside Drive – 730 Riverside Drive. Hannah Arendt und Ralph Ellison. – Matthes & Seitz, Berlin 2022.

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