Verlage stellen sich vor: Verlag Vittorio Klostermann

Der Verlag Vittorio Klostermann mit Sitz in Frankfurt am Main ist ein Wissenschaftsverlag
mit Schwerpunkt Geisteswissenschaften, insbesondere Philosophie.

Gründung des Verlags und das Programm bis 1945

Im Jahr 1924 trat der 22-jährige Verlagsbuchhändler Vittorio Klostermann in die Firma Universitätsbuchhandlung und Verlag Friedrich Cohen in Bonn ein. Er übernahm zunächst Aufgaben im Antiquariat, wenig später auch im Verlag. Nach dem Tod Fritz Cohens 1927 übertrug dessen Witwe Hedwig Bouvier Klostermann die Leitung der geisteswissenschaftlichen Verlagsabteilung.

Zwischen 1928 und 1930 erschienen dort u. a. Werke von Hans Lipps, Günther Anders, Friedrich Dessauer, Martin Heidegger und Karl Mannheim. Durch die Weltwirtschaftskrise geriet die Cohen’sche Firma jedoch in ökonomische Schwierigkeiten, die verlegerische Arbeit musste im Wesentlichen eingestellt werden. Klostermann verließ 1930 deshalb das Unternehmen, um sich selbständig zu machen.


Bereits am 1. Oktober des Jahres gründete er in Frankfurt am Main einen Verlag und ein Antiquariat unter eigenem Namen. Dabei boten ihm die zahlreichen Autoren-Kontakte, die er bei Cohen geknüpft hatte, einen breiten Grundstock. Die erste Veröffentlichung des Verlags war Jugend ohne Goethe des Germanisten Max Kommerell. In den Jahren nach der Gründung waren es aber überwiegend Philosophen, mit denen Klostermann zusammenarbeitete. Vor allem durch die Beratertätigkeit Martin Heideggers und den engen Kontakt zu den „Marburgern“ in seinem Umfeld entwickelte sich die phänomenologische Ausrichtung des philosophischen Programms. Sie bleibt mit Namen wie Otto Friedrich Bollnow, Walter Bröcker, Eugen Fink, Hans-Georg Gadamer, Hans Lipps, Herbert Marcuse und anderen verknüpft.
Das in der Anfangszeit fehlende wissenschaftliche Lektorat kompensierte Klostermann durch
intensiven Briefwechsel mit den Autoren. Bis 1938 trug der Verlag sich nicht selbst, das
Antiquariat war nötig, um Verlagskosten und Lebensunterhalt zu decken.

1934 verlegte Klostermann die „Einführung in die Philosophische Anthropologie“ des kurz zuvor ins Exil gegangenen Paul Ludwig Landsberg. Ab 1937 brachte Klostermann Hanns W. Eppelsheimers „Handbuch der Weltliteratur“ heraus, was ein Risiko für den Verlag darstellte, weil in dem Werk dem Regime missliebige Autoren wie Heinrich Heine und Karl Marx aufgeführt wurden. Der Autor, Sozialdemokrat und mit einer Jüdin verheiratet, war 1933 als Direktor der Darmstädter Landesbibliothek entlassen worden. Im Jahr 1939 formulierte der Chef des Sicherheitshauptamtes in Berlin „zahlreiche Bedenken politischer und
weltanschaulicher Art“ gegen den Verlag. 1944 verlor Klostermann die Zulassung; im selben Jahr wurden bei einem Luftangriff auf Freiburg die dorthin ausgelagerten Buchbestände des Verlags zerstört.

1945 erhielt der Verlag die Lizenz Nr. 14 der amerikanischen Militärregierung und konnte neu beginnen. Klostermann hatte den Militärbehörden eine Liste von Titeln übergeben, die während des „Dritten Reiches“ verboten oder unerwünscht waren.

Das Verlagsprogramm seit 1945

Philosophie

Zum bekanntesten Verlagsprojekt wurde die 1975 begonnene Martin Heidegger Gesamtausgabe; 99 der auf 102 Bände sowie zwei Ergänzungsbände veranschlagten Ausgabe sind bis zum Jahr 2024 erschienen. Die Publikation der „Schwarzen Hefte“ (Band 94ff.) ab 2014 hat die Diskussion um Heideggers Position während der NS-Zeit neu entfacht. Eine Bibliographie der Universität Siegen zu den „Schwarzen Heften“ verzeichnet für die Jahre 2013 bis 2016 knapp 1.000 Einträge. Heideggers Nachlassverwalter und der Verlag gerieten wegen ihrer Editionspraxis in die Kritik: Wie war es möglich, dass erst jetzt, 38 Jahre nach Beginn der Gesamtausgabe, massive antijüdische Äußerungen Heideggers an die Öffentlichkeit gelangten? Zur Klärung der Vorwürfe wandte sich Verleger Vittorio E. Klostermann an die Herausgeber und bat um Aufklärung über eventuelle Glättungen oder Streichungen in den von ihnen herausgegebenen Heidegger-Bänden. In die daraufhin aufflammende Debatte mischte sich der Verleger u. a. mit Stellungnahmen und Leserbriefen ein.
Der ursprünglich phänomenologische Schwerpunkt des philosophischen Verlagsprogramms wurde in den 80er Jahren erweitert; die Publikationen des Verlags decken seither fast alle Richtungen des Fachs ab, von der Philosophiegeschichte bis zur Analytischen Philosophie, von Werner Beierwaltes, Kurt Flasch und Dieter Henrich bis Maurizio Ferraris, Andreas Kemmerling und Wolfgang Künne. Im Jahr 2019 übernahm Klostermann die Fortsetzung – nach einer Unterbrechung von 18 Jahren – der im Wiener Springer-Verlag gegründeten Wiener Ausgabe der Schriften Ludwig Wittgensteins.

Rechtsgeschichte

Den größten Anteil am rechtshistorischen Verlagsprogramm nehmen mit über 450 Bänden seit 1967 die Publikationen des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie ein. Die umfangreichste Reihe des Instituts sind mit 346 Bänden (Stand Februar 2024) die Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Seit 1995 erscheint zudem eine auf 32 Bände ausgelegte Dokumentation zur Geschichte des Grundgesetzes, begründet und bis zu seinem Tod 2021 herausgegeben von dem Verfassungsrechtler Hans-Peter Schneider. Seit 2012 publiziert der Verlag die Schriftenreihe Recht als Kultur des Käte-Hamburger-Kollegs in Bonn.

Literatur und Literaturwissenschaft

Ein Schwerpunkt im Bereich Literaturwissenschaft sind die Thomas Mann Studien, die 1991
vom Francke-Verlag übernommen wurden.
Mit der Jünger-Debatte, dem Jahrbuch der Ernst und Friedrich Georg Jünger-Gesellschaft, nahm der Verlag 2017 eine alte Programmlinie wieder auf. Sie geht auf Vittorio Klostermanns Ehefrau Helena zurück, die in den 1930er-Jahren eine Zeitlang Geschäftsführerin des Verlags war. Sie hatte 1939 in Überlingen Bekanntschaft mit den Brüdern Jünger geschlossen. Die Schriften Friedrich Georg Jüngers erschienen seit 1943 bei Klostermann, die von Ernst Jünger zwischen 1949 und 1963.
Die im Jahr 1972 von Eckhard Heftrich mit Paul Oskar Kristellers Ficino-Buch wiederbegründete Reihe Das Abendland erscheint seit 2018 unter der Herausgeberschaft von Dirk Werle.
Im Jahr 2020 übernahm der Verlag die Nexus-Reihe und die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe des Stroemfeld-Verlags; ab 2024 erscheint die von Roland Reuß und Peter Staengle ursprünglich ebenfalls bei Stroemfeld herausgegebene Historisch-Kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte Franz Kafkas bei Klostermann.

Zeitschriften und Datenbanken

Es erscheinen zwei literaturwissenschaftliche Datenbanken im Verlag, die Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft sowie die Bibliographie der französischen Literaturwissenschaft. Der Verlag gibt acht wissenschaftliche Zeitschriften heraus, darunter die Romanischen Forschungen (gegründet 1848, seit 1947), die Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (seit 1954) mit den dazugehörigen Sonderbänden, die Zeitschrift für philosophische Forschung (gegründet 1946, seit 1990) und die Zeitsprünge (seit 1997). 2017 wurde die Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis von Stroemfeld übernommen.

Die Zeit nach dem Tod des Gründers

Der Verlag galt zu Lebzeiten seines Gründers als ein an Klostermanns Person gebundener Ein-Mann-Verlag. Nach seinem Tod am 29. August 1977 führten die beiden Söhne Klostermanns die Verlagsgeschäfte weiter. Der ältere Sohn Michael Klostermann verstarb 1992, seitdem leitet der jüngere Bruder Vittorio Eckard Klostermann den Verlag; ab 2006 gemeinsam mit Anastasia Urban.