Autor*innen-Netzwerk «lokal lesen»

Das Autor*innen-Netzwerk «lokal lesen» nimmt sich zum Ziel, lokales Literaturschaffen sichtbarer zu machen. Autor*innen werden dazu eingeladen, der oft einsamen Schreibarbeit mal einen Moment zu entfliehen, um zusammenzukommen, sich auszutauschen, gemeinsam zu wirken. «lokal lesen» bietet Anlässe und Weiterbildungen an und öffnet Türen zu geteilten Räumen, die sich positiv auf das künstlerische Schaffen auswirken und in denen sich Schriftsteller*innen gegenseitig stärken können. Die Buchhandlung Labyrinth schätzt es sehr, dass «lokal lesen» bei uns tagt und mit einem Regal präsent ist.

Ebenfalls bei «lokal lesen» mit dabei ist Julia Rüegger. Am 8. November um 19.30 liest sie hier bei uns im Labyrinth aus ihrem Lyrikdebüt «einsamkeit ist eine ortsbezeichnung» und spricht mit Jelena Kern über ihre Gedichte und ihr literarisches Schaffen. Alle Interessierten sind herzlich willkommen.

Colson Whitehead: Die Regeln des Spiels

Ray Carney will von krummen Geschäften nichts mehr wissen. Er hält sich raus aus dem täglichen Chaos New Yorks, wo Gangster sich Schiessereien liefern und die Black Liberation Army zum bewaffneten Kampf aufruft. Wäre da nicht seine Tochter May mit dem fast unerfüllbaren Wunsch nach einem Ticket für das Konzert der Jackson Five. Ray muss sein altes Netzwerk aktivieren – auf die Gefahr hin, sich selbst wieder zu verstricken. Als in Harlem ganze Wohnblocks in Flammen aufgehen, beauftragt er Pepper, der wie kein zweiter die Regeln des Spiels kennt, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

Colson Whitehead: Die Regeln des Spiels, Hanser 2023.

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Ein Fenster für AphorismA

Das Programm des Verlags AphorismA aus Berlin beinhaltet eine Vielfalt an Büchern zu den Bereichen Judentum, Christentum und Islam, zu Deutschland, Israel und Palästina. Ganz besonders unser Interesse geweckt hat das Bilderbuch «Märchen im Gepäck». Entstanden ist es im Rahmen künstlerisch-pädagogischer Workshops, in denen sich vier Illustrator*innen aus arabischen und europäischen Ländern gemeinsam mit Schulklassen über die politische und soziale Dimension von Märchen austauschten.

Seit der Verlagsgründung gehören auch das Leben und Werk der deutsch-jüdischen Dichterin Rose Ausländer (1901-1988) zu den Schwerpunkten von AphorismA.

Wir freuen uns, dass AphorismA unserem Fensterplätzchen einen Besuch abstattet.

Raphael Thelen: Wut

Raphael Thelen: Wut, Arche Verlag 2023.

Berlin im Hochsommer. Vallie, Sara und Wassim demonstrieren in den glühenden Strassen, die Stimmung ist erhitzt, explosiv, wütend.  Die Anliegen der Klimagerechtigkeitsbewegung werden zwar immer sichtbarer, und doch ändert sich nicht viel, der Planet bewegt sich beinahe ungebremst auf die Apokalypse zu. Sara, Vallie und Wassim fühlen sich oft ausgebrannt und sehen sich auch mal mit der Frage nach dem Sinn des eigenen Aktivismus konfrontiert.

Doch an dem von Raphael Thelen in einen Roman gegossenen Tag kommt es anders. Einer Gruppe von Klimaaktivist*innen gelingt es, die Zentrale der «Deutschen Energie» zu besetzen und deren Konzernchefin vorübergehend als Geisel zu nehmen. Gleichzeitig rennt ein weiterer Protestzug, verfolgt von der Polizei, durch die Strassen und besetzt eine Pipeline-Baustelle.

Können Wut und Verzweiflung in grundlegende Veränderungen münden? Raphael Thelen spürt dieser Frage nach: Eine literarische Reflexion zur gegenwärtigen Situation des Klimaaktivismus.

Raphael Thelen war lange Jahre Journalist, er schrieb für die taz, den Spiegel und die ZEIT Online und rieb sich dabei immer mehr an der weitverbreiteten Forderung, Journalismus müsse neutral sein. Wäre es nicht die Aufgabe von Journalist*innen, sich klar zu positionieren? Zugunsten der Demokratie?

Raphael Thelen ist jetzt Aktivist, schreiben tut er weiterhin: Newsletter, Kolumnen und Bücher. „WUT“ ist sein Debütroman und „kein Anleitungsbuch für ‚gepflegte Konversation‘, sondern ein Ausdruck des Empfindens einer Generation, die tatsächlich wütend ist und es nicht mehr hinnehmen möchte, dass unsere Zukunft und ein stückweit auch schon unsere Gegenwart zerstört wird.“

Das Zitat stammt aus einem Interview mit RBB Kultur vom 24.07.23

Raphael Thelen: Wut, Arche Verlag 2023.

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Sinthujan Varatharajah: an alle orte, die hinter uns liegen

Eine Rezension von Jonas Rippstein

In an alle orte, die hinter uns liegen geht Sinthujan Varatharajah der Frage nach, ob der Kolonialismus jemals zu einem Ende kam. Die schnelle Antwort: Nein. Scharfsinnig erkundet der*die Autor*in einerseits die eigene Familiengeschichte, die mit einer prägenden Fluchterfahrung verbunden ist und andererseits die Kolonialgeschichte und die mit ihr verbundenen eurozentristischen Wahrnehmungen und Denkweisen, welche aufgedeckt, ins Wanken gebracht und neugedacht werden, um den Leser*innen anschaulich aufzuzeigen, dass die Spuren des Kolonialismus bis in die Gegenwart reichen.  

Schon auf den ersten Seiten zeigt sich eine Besonderheit des Buches: Es erscheint nicht wirklich wie ein reines Sachbuch, auch nicht wie ein Roman, manchmal jedoch wie ein Tagebuch, obschon es dies auch nicht sein möchte. Dies hängt unter anderem mit dem Anfang (und dem Ende) zusammen: Im Prolog beschriebt Varatharajah in einer poetischen, pointierten Sprache seine*ihre Gedanken während einer U-Bahn-Fahrt in Berlin. Es kommt zu einer Gedankenkaskade über das eigene Sein der*des Autors*in, die wie folgt beginnt: „Wenn ich denke, dann bewege ich. Wenn ich denke, dann erinnere ich. Und gleichzeitig vergesse ich. Ich denke, um zu bewegen, um zu erinnern, um zu vergessen. Ich denke, um mich zu bewegen, weg von diesem Ort, von diesem Leben.“ Die Erzählstimme reflektiert im Prolog über unzählige Themen und verwebt diese mit autobiographischen Erfahrungen und der Weltgeschichte: Hieraus entsteht eine Schreibpraxis, die sich durch das ganze Werk zieht. Es ist die Rede von kolonialer Gewalt, von der westlichen Wahrnehmung der Welt, vom Krieg gegen Tiere oder von Tempelglocken, die von ihm*ihr gehört und zu einer Metapher für die Verbrechen der Europäer*innen werden: „Ich denke an das Echo dieser Glocken, das bis in unsere Gegenwart nachhallt. / Sie läuten noch immer.“

Dieses Echo, dieses Läuten der Vergangenheit bis in die Gegenwart, hört Varatharajah unzählige Male in feinsinnigen Beobachtungen. Gleich zu Beginn, im Kapitel „zur kamera“, zeigt der*die Autor*in auf, wie die Kamera als vermeintlich harmlose Apparatur ihren Teil zur gewaltsamen Unterdrückung in den Kolonien beitrug. Dabei gelingt es Varatharajah mithilfe der Theorien unzähliger Vordenker*innen aufzuzeigen, wie durch die Fotokamera koloniale Gewalt ermöglicht, durchgesetzt und legitimiert wurde: „Auch wenn die Lebewesen, ob Menschen oder Tiere, beim Ablichten keinen offensichtlichen Schaden davontrugen, so wurde ihnen dennoch mit und in diesem Akt etwas unwiderruflich genommen. Auch wenn es nicht unbedingt ihr Leben war, so wurde ihr Anrecht auf ihr eigenes Abbild und damit ein Teil ihrer selbst genommen. Sie waren nach dem Ablichten gewissermaßen nicht mehr dieselben Menschen, die sie vor dem Auslösen der Kamera waren.“ Den Theorien Varatharajahs zufolge werden die Abgelichteten in diesem Kontext zu Bildern, die um die Welt reisen und sich in den Köpfen der Menschen festsetzen, unter anderem in Form von Stereotypen. Die Gewalt der Bilder sei anders als die Gewalt von Kanonen, obschon sie beide einen Schaden hinterlassen: Eine Waffe zerfleischt den Körper, die Kamera hingegen frisst sich in die Seele, und „[hinterlässt] leere Hüllen, die ihrer Wesen beraubt wurden.“

Nebst der Kritik an der Kolonialfotografie und dem damit verbunden eurozentristischen Blick erzählt der*die Autor*in eine Familiengeschichte, die mit dem Vater beginnt, der in den Achtzigerjahren aus Sri Lanka nach Deutschland flüchtet, nachdem anti-tamilische Ressentiments im Inselstaat entfacht werden und die singhalesische Regierung mit Gewalt gegen Tamil*innen vorgeht. Mit dabei hat dieser eine japanische Kamera, mit welcher er sein neues Leben mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern dokumentiert. Dies ist ein entscheidender Moment, denn nun wird die Macht des Visuellen umgedreht. Varatharajah schreibt hierzu über den eigenen Vater: „Mit der Kamera konnte er, der aus der Peripherie der Inselgeografie stammte, er, der vom Rande der Gesellschaft kam, sich selbst zentrieren und eine neue Geschichte schreiben. Für ihn und die Menschen in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld fing damit eine neue Zeit an. Eine Zeit, in der ihre Erinnerungen nicht nur in Wörtern, Gedanken, Gefühlen und Prägungen am Körper weiterlebten, sondern auch als materielle Abbilder.“ Zentral für die Ausführungen Varatharajahs ist weiterhin ein Bild, das der Vater von der Mutter schoss, worauf sie von hinten vor einem Elefantengehege zu sehen ist. Hiervon ausgehend schreibt Varatharajah eine Kolonialgeschichte, die aufzeigt, wie die heutige europäische Gesellschaft mit ihrer eigenen gewaltsamen Vergangenheit verbunden ist. Es ist beispielsweise die Rede von Zoos, von innovativen Erfindungen oder von geografischen Namensgebungen. Varatharajah gelingt es, das Erzählte zu dekonstruieren und zu sezieren, um schliesslich eurozentristische Perspektiven aufzuspüren und sie den Leser*innen aufzuzeigen.

Das Buch endet mit einem Epilog, der im selben Stil wie der Prolog daherkommt. Die Gedankenkaskade geht weiter, und der*die Autor*in erkennt, dass das Denken, das Erinnern und das Vergessen wohl nie ein Ende finden werden. „Ich sehe nur meine eigenen Spuren“, erkennt Varatharajah abschliessend. Es ist ein Abschluss, der die Endlosigkeit der Thematik einfängt, und den Leser*innen abermals ins Bewusstsein ruft, dass die Beobachtung von (Kolonial-)Geschichte immer einer Spurensuche gleicht, die glücklicherweise in Büchern wie an alle orte, die hinter uns liegen eingefangen und thematisiert wird.

an alle orte, die hinter uns liegen ist ein starkes Buch, das mit einer gehaltvollen Kraft die Leser*innenschaft dazu zu bewegen vermag, die eigene Perspektive auf die Welt zu hinterfragen, seien es die grossen, geschichtlichen Zusammenhänge oder die Erzählungen von einfachen Dingen wie Alltagsgegenständen. Varatharajah lädt die Leser*innen zudem ohne Zwang und ohne dogmatisches Denken ein, seinem*ihrem Blick zu folgen. Wer das Buch nach dem Fertiglesen beiseite legt, kann erkennen, wie sich die eigene Sicht nach der Lektüre wandelt, wie sich Perspektiven verschieben, und die eigenen Spuren ersichtlich werden.  

Dana Vowinkel: Gewässer im Ziplock

Ein Sommer zwischen Berlin, Chicago und Jerusalem. Ein Sommer geprägt von Grossen und kleinen Lügen, Glücksmomenten und Enttäuschungen, Zuneigung und Schmerz. Und mittendrin die fünfzehnjährige Margarita. Wie jedes Jahr verbringt sie ihre Ferien bei den Grosseltern in den USA. Viel lieber will sie aber zurück nach Deutschland, zu ihren Freunden und ihrem Vater, der in einer Synagoge die Gebete leitet. Die Mutter hat die beiden verlassen, als Margarita noch in den Kindergarten ging. Höchste Zeit, beschliesst der Familienrat, dass sie einander besser kennenlernen. Und so wird Margarita in ein Flugzeug nach Israel gesetzt, wo ihr Vater aufgewachsen ist und ihre Mutter seit Kurzem lebt. Gleich nach der Ankunft geht alles schief, die gemeinsame Reise von Mutter und Tochter durchs Heilige Land reisst alte und neue Wunden auf, Konflikte eskalieren, während der Vater in Berlin seine Rolle überdenkt. Da müssen sie schon wieder die Koffer packen und zurück nach Chicago, wo sich alle um das Krankenbett der Grossmutter versammeln und Margarita eine folgenreiche Entscheidung treffen muss.

Dana Vowinkel: Gewässer im Ziplock, Suhrkamp nova 2023.

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Jane Campbell: Kleine Kratzer

13 Heldinnen, die sich nicht aussortieren und enteignen lassen, nur weil sie «alt» sind und ihre Familien keine Verwendung mehr für sie haben.

13 Heldinnen – voller Hoffnungen und Sehnsüchte, voller Leben -, die ihre ganz eigenen, überraschenden Wege finden, wie sie bekommen, was sie wollen.

Jane Campbell: Kleine Kratzer. Storys, Kjona Verlag 2023.

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Robert Seethaler: Das Café ohne Namen

Wien im Jahr 1966. Robert Simon verdient sein Brot als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt. Er ist zufrieden mit seinem Leben, doch zwanzig Jahre nach Ende des Krieges hat sich die Stadt aus ihren Trümmern erhoben. Überall wächst das Neue, und auch Simon lässt sich mitreissen. Er pachtet eine Gastwirtschaft und eröffnet sein eigenes Café. Das Angebot ist überschaubar, und genau genommen ist es gar kein richtiges Café, doch die Menschen aus dem Viertel kommen, und sie bringen ihre Geschichten mit – von der Sehnsucht, vom Verlust, vom unverhofften Glück. Sie kommen auf der Suche nach Gesellschaft, manche hoffen sogar auf die Liebe, und während die Stadt um sie herum erwacht, verwandelt sich auch Simons eigenes Leben.

Robert Seethaler: Das Café ohne Namen, Claassen 2023.

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Elliot Page: Pageboy

Mit seiner Hauptrolle in »Juno« hat Elliot Page die Welt in seinen Bann gezogen. In seinem ersten Buch erzählt er von sich selber: vom Aufwachsen in der kanadischen Hafenstadt Halifax, vom Erwachsenwerden im von traditionellen Geschlechterrollen besessenen Hollywood. Von Sex, Liebe, Trauma und phantastisch anmutenden Erfolgen. »Pageboy« ist die Geschichte eines Lebens, das an den Rand des Abgrunds gedrängt wurde – und eine Feier des Moments, in dem wir, frei von den Erwartungen anderer, mit Trotz, Mut und Freude uns selbst entgegentreten.

»Dies ist die Geschichte von jemandem, der sich selbst findet – inmitten von Hindernissen, Scham, Hoffnungslosigkeit und Schmerz. Der daraus auftaucht und auf eine Weise erblüht, die er nie für möglich gehalten hätte.« Elliot Page

Elliot Page: Pageboy, S. Fischer 2023.

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FRIDAMagazin & Edition Frida

Gerne machen wir alle, die es noch nicht sind, mit dem FRIDAMagazin bekannt. FRIDA schreibt unabhängig und vertieft über Kultur und bringt eine vielfältige Auswahl an Stimmen aus Theater, Film, Kunst und Musik zusammen.

Auch die Literatur hat ihren Platz. Die chronische Vielleserin und Leiterin der BuchBasel Marion Regenscheit schreibt jeden Monat Buchempfehlungen für FRIDA. Auf besonderes Interesse bei uns im Labyrinth gestossen sind ihre Reflexionen zur Frage, weshalb eigentlich so viele Romanfiguren immer wieder schwimmen. Auch uns ist unlängst aufgefallen, dass aktuell erstaunlich viele Bücher erscheinen, die Strand, Freibad oder Wasser auf ihrem Cover haben. Ebenfalls bei FRIDA inklusive ist der hörenswerte Literaturpodcast «eins.sieben.drei». Darüber hinaus kommen in regelmässigen Abständen grossartige zeitgenössische Autor*innen zu Wort, deren Bücher im Labyrinth absolut gern gesehen sind: Emilia Roig, Kim de l’Horizon, Ariane Koch, Benjamin von Wyl, Simone Lappert, und andere.

Besonders empfehlen wir die vom FRIDAMagazin online geschalteten und nun als Buch erschienenen Porträts aus der Schweizer Performance-Szene. Elf Bühnenkünstler*innen wurden von FRIDA eingeladen, eine Performance-Anleitung zu entwerfen. Im Gegenzug widmete ihnen das Magazin allen ein Porträt. Für die Treffen konnten die ausgewählten Gäst*innen ein Essen nach ihrer Wahl bestimmen. Haute Cuisine, Lieblingsbeiz, Kebab-Bude, Picknick oder selber kochen: alles war möglich und das Ergebnis liegt nun in Buchform vor:

Chris Hunter, Matthias Balzer (Hg.): «Machs» Elf Porträts aus der Schweizer Performance-Szene, Edition Frida 2023.

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